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Praxiserfahrungen mit Schwanzbeißausbrüchen – das raten die Impulsbetriebe des Netzwerks

Stand: Juni 2025

  • Anne-Claire Berentsen, LAVES Niedersachsen
  • Reinhard Brunner, Impulsbetrieb Tierwohl
  • Karl Harleß, Impulsbetrieb Tierwohl
  • Dr. Haiko Hofmann, Bundesverband Rind und Schwein e.V.
  • Mirjam Lechner
  • Dr. Eckhard Meyer, Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie
  • Dr. Sandra Ripke, LAVES Niedersachsen
  • Dr. Karl-Heinz Tölle, Interessensgemeinschaft der Schweinehalter Deutschland e.V.
  • Dr. Astrid van Asten, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen

  • Dr. Maren Gerlach, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
  • Ulrich Hartmann, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen
  • Marie Lüke, Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen

Einleitung

Schwanzbeißen ist ein weit verbreitetes Problem in der Schweinehaltung, das erhebliche tierschutzrechtliche und wirtschaftliche Auswirkungen haben kann. Es handelt sich um ein multifaktorielles Geschehen. Die Ursachen zu analysieren und zu beheben kann sehr herausfordernd sein. In einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage hat die Geschäftsstelle Schwein die schweinehaltenden Impulsbetriebe des Netzwerks zu ihren Erfahrungen befragt.

 

Rechtlicher Rahmen

Das Kürzen der Schwänze von Saugferkeln wird in der konventionellen Schweinehaltung als wirksame Methode gegen das Schwanzbeißen praktiziert. Nach den EU-rechtlichen Vorschriften und den Vorgaben des deutschen Tierschutzgesetzes ist das Kupieren der Schwänze aber nur in begründeten Ausnahmefällen und auch nur bis zum 4. Lebenstag erlaubt. Für den schrittweisen Einstieg in den Kupierverzicht wird seit 2019 der „Nationale Aktionsplan Kupierverzicht zur Verbesserung der Kontrollen zur Verhütung von Schwanzbeißen und zur Reduzierung des Schwanzkupierens bei Schweinen“ angewendet. Die Prinzipien des Aktionsplans (Risikoanalyse, Tierhaltererklärung) fanden 2024 Eingang in den Referentenentwurf zur Novelle des Tierschutzgesetz und nahmen auch die Mastbetriebe stärker in die Pflicht. Auch wenn die Novelle des Gesetzes nicht verabschiedet wurde, wird sich die EU dem Thema zukünftig stärker annehmen.

Ursachen für das Schwanzbeißen

Schwanzbeißen ist ein Problem, mit dem sich fast alle Schweinehalter früher oder später auseinandersetzen müssen: Bereits Erfahrung mit Schwanzbeißausbrüchen haben 19 der 20 befragten schweinehaltenden Betriebe gemacht.

Bei einer Vielzahl von möglichen Auslösern ist es schwierig, die eine Ursache für den akuten Schwanzbeißausbruch zu finden. Rund 20% der befragten Betriebe gaben an, die konkreten Ursachen nicht gefunden haben. Der Großteil der Betriebe führt das Schwanzbeißgeschehen auf den Komplex „Fütterung“ zurück. Insbesondere „Futterstruktur“, „Vermahlungsgrad“ und „Rohfaseranteil“ werden als einflussreiche Faktoren bei der Fütterung genannt. Die Betriebe haben die Erfahrung gemacht, dass eine Belastung des Getreides mit Toxinen und allgemein eine schlechte Futterqualität, insbesondere in feuchten Erntejahren, eine Ursache für Schwanzbeißen sein kann. Hier kann eine Erhöhung des Gerstenanteils in der Ration Abhilfe schaffen: sie liefert sättigende Rohfaser, fördert die Dickdarmfermentation und weist eine geringere Mykotoxinbelastung als beispielsweise Weizen auf. Fehlerhaft ausdosierte Futtermengen oder ein Mangel einzelner Futterkomponenten bzw. -inhaltsstoffe, insbesondere von Aminosäuren, können eine Ursache für ein Schwanzbeißgeschehen sein. Daher ist eine Überprüfung der Futterration, aber auch der Futterqualität und Futterhygiene empfehlenswert. Daneben ist auch die Anzahl der Fressplätze und Tränken entscheidend. Ein zu weites Tier-Fressplatzverhältnis kann zu Stress und Unruhe in der Gruppe führen und damit Schwanzbeißen auslösen. Als kurzfristige Abhilfemaßnahme werden Zusatztröge genannt.

Rund ein Drittel der Betriebe nennt den Gesundheitsstatus als Ursache für das Schwanzbeißen. Dazu gehören sowohl ein akuter Krankheitsausbruch als auch subklinische Erkrankungen, die zu allgemein geschwächten Tieren führen. Gesundheit ist der rote Faden, der alle Betriebe miteinander verbindet. Ist der Gesundheitsstatus niedrig, sind gesundheitliche Probleme oft genug der Auslöser für die Verhaltensstörungen. Bei hohem Gesundheitsstatus ist es am häufigsten der überlastete Stoffwechsel, der als Auslöser zu werten ist. Deshalb ist die Fütterung so hoch zu bewerten (Meyer 2025).    

Als dritte Ursache nannten die Impulsbetriebe den Themenkomplex Stallklima. Hier sind hohe Temperaturen (Hitzestress), Wetterwechsel mit z.B. Temperaturschwankungen, aber auch Zugluft und eine falsche Einstellung des Lüftungssystems zu nennen.

Weitere Ursachen sind Genetik, Wasser, Buchtenstruktur und Beschäftigungsmaterial.

Umgang mit Schwanzbeißen

Es wurden die Impulsbetriebe Schwein auch nach ihren Strategien bei einem akuten Schwanzbeißgeschehen gefragt. Fast alle Betriebe versuchen als ersten Schritt den Beißer in der Bucht zu finden und zu separieren (Abb. 4) . Anschließend kümmern sich die meisten Tierhalter um zusätzliches Beschäftigungsmaterial, um die Schweine abzulenken. Es werden z. B. Seile, Stroh, Beißhölzer, Heu, Silage und Jutestoffe angeboten. Einige Tierhalter setzen auch Futtermittelzusatzstoffe und Toxinbinder wie Gesteinsmehle ein. Auch das Umstallen in eine andere Bucht kann die Tiere kurzfristig ablenken und das Schwanzbeißgeschehen unter Kontrolle bringen. Als eine weitere Maßnahme nennen die Landwirte die Versorgung und Separation der gebissenen Tiere. Sind bereits blutige Verletzungen sichtbar, muss eine Behandlung unverzüglich erfolgen. Hierzu sollte immer der Tierarzt hinzugezogen werden. Als letzten Schritt gehen die Tierhalter auf Ursachenforschung und überprüfen mögliche Risikofaktoren wie Lüftung, Fütterung und Wasser. 

Auf die Frage nach besonders effektiven Maßnahmen im Havariefall gaben 40 % der Tierhalter das Separieren der beißenden Tiere an. Voraussetzung ist, das beißende Tier zu identifizieren. Bei rund einem Drittel der Betriebe hilft zusätzliches Beschäftigungsmaterial und die Gabe von Raufutter in unterschiedlichen Formen, um den Schwanzbeißausbruch in den Griff zu bekommen.

Praxistipp

Havariemanagement in der Großgruppe

  • Beißer identifizieren & separieren
  • Hierfür ggf. kurzzeitig ablenkende Buchteneinrichtung wegnehmen (Stroh, Heu, Ausläufe, Schweineduschen)
  • Gebissene Tiere versorgen und nach Möglichkeit absondern
  • Für viel Ablenkung sorgen!
  • Selektives Zusatzangebot von Einzelfuttermitteln wie Salze & Raufutter, um einen Mangel zu erkennen

Langfristige Veränderungen

Die Antworten der Impulsbetriebe auf die Frage nach langfristigen Veränderungen, die zur Vermeidung von Schwanzbeißausbrüchen führen, bestätigen, dass es sich um ein multifaktorielles Problem handelt: Bei der Hälfte der befragten Betriebe reichte nicht nur eine Veränderung, um Schwanzbeißausbrüche dauerhaft zu verhindern. Es ist oft ein Zusammenspiel aus mehreren Faktoren, die optimiert und verändert werden müssen, um die Überforderung der Schweine und das damit verbundene Schwanzbeißen langfristig zu verhindern.

Tabelle 1: Langfristige Abhilfemaßnahmen der Impulsbetriebe zur Vermeidung von Schwanzbeißen
Fütterung 
  • Überprüfung der Futterstruktur
  • Erhöhung des Rohfaseranteils z.B. durch Gerste
  • Gabe von Mineralfutter
  • Getreidereinigung, Reduktion der Mykotoxinanfälligkeit des Getreides, z.B. durch bestimmte Anbauverfahren
  • zusätzliches Raufutter
  • Verbesserung der Futterqualität
  • Einsatz von Toxinbinder
  • aufgenommene Wassermenge erhöhen z.B. durch Angebot zusätzlicher (offener) hygienisch einwandfreier Wassertränken
 
Klima 
  • Überprüfung von Lüftungskurven, Zuglufteinfall und Stalltemperatur
 
Gesundheit 
  • Ohr- und Schwanznekrosen schon in der Ferkelaufzucht verhindern
  • Verbesserung der Darmgesundheit 
 
Genetik 
  • Auswahl der Genetik
  • Wechsel der Ferkelherkunft
 
Haltung 
  • zusätzliches Beschäftigungsmaterial
  • Strukturierung der Bucht z.B. durch Einsatz von Trennwänden
  • baugleiche Tränken in Ferkelaufzucht und Mast
  • genügend Fressplätze
  • Gruppen bei Stallwechsel nicht mischen
 

 

Auch wenn in Fachkreisen über die Höhe der Erblichkeit von Verhaltensmerkmalen gestritten wird, zeigt sich doch, dass Herkunft und Genetik einen Beitrag leisten können.   

Das frühzeitige Eingreifen ist entscheidend für den Erfolg der Abhilfemaßnahmen. Für eine frühzeitige Erkennung des beginnenden Schwanzbeißgeschehens ist eine genaue Beobachtung der Tiere bei den täglichen Kontrollgängen wichtig. Aufmerksame Mitarbeiter sind das A und O, um schnell eingreifen zu können. Hilfreich ist die Beobachtung der Tiere während der Aktivitätszeit, meistens am späten Nachmittag.

Weitere Hinweise zur richtigen Tierbeobachtung

Fazit

Insgesamt zeigt sich, dass fast jeder Betrieb schon mal einen Schwanzbeißausbruch erlebt hat. Die Ursachen dafür sind in jedem Betrieb individuell und vielfältig. Oft hilft es, gemeinsam mit der Beratung die wichtigsten Stellschrauben im Stall zu überprüfen und die Haltungsbedingungen und das Management entsprechend zu optimieren. Bei verletzten Schweinen ist es unerlässlich, den Tierarzt zu rufen, um eine angemessene Behandlung sicherzustellen.