Chance oder Last? – die betriebliche Eigenkontrolle im Schweinestall
Auch wenn die gesetzlich vorgeschriebene betriebliche Eigenkontrolle teilweise einen Mehraufwand bedeutet, sollte ihr Nutzen als Managementhilfe, die sie zur Verbesserung der Tiergesundheit und des Tierwohls im Betrieb darstellt, nicht unterschätzt werden. Damit die systematische Durchführung gelingt, wurden fachlich fundierte Anwendungshilfen erarbeitet.
Was genau steckt hinter der betrieblichen Eigenkontrolle?
Für das Wohlbefinden der Schweine sind alle Tierhaltende verantwortlich. Diese Eigenverantwortung ist seit 2014 explizit im Tierschutzgesetz § 11 (8) geregelt. Der Gesetzgeber schreibt vor, dass alle Nutztierhaltende mit geeigneten tierbezogenen Merkmalen (Tierschutzindikatoren) die Tiergerechtheit im Stall erheben und bewerten müssen. Was, wie genau und wie oft erfasst werden muss, ist nicht weiter geregelt. Das gestaltet natürlich die Umsetzung der betrieblichen Eigenkontrolle schwierig.
Welche Tierschutzindikatoren gibt es?
Mit tierbezogenen Indikatoren werden Aspekte des Gesundheitszustands und des Verhaltens der Tiere erfasst. Sie ermöglichen direkte Rückschlüsse auf die Auswirkungen von Haltung, Fütterung und Management auf das Tierwohl. Zur Eigenkontrolle können verschiedene Datenquellen genutzt werden. Recht einfach und schnell lassen sich routinemäßig erhobene Daten (z. B. Schlachtbefunde, Antibiotikaeinsatz) zur Auswertung verwenden. Jedoch bilden diese Daten nicht alle möglichen Tierwohlprobleme bei Schweinen ab, weswegen andere Merkmale direkt „am lebenden Tier“ erhoben werden sollten (z. B. Lahmheiten, Haut- oder Schwanzverletzungen). Stehen zur Erfassung spezifischer Tierwohlprobleme (z. B. unzureichende Wasserversorgung) noch keine validen tierbezogenen Indikatoren zur Verfügung oder wäre die Erfassung zu aufwändig, wird auf ressourcen- oder managementbezogene Indikatoren zurückgegriffen (z. B. Prüfung der Tränkeeinrichtungen). Für die Erfassung von Tierschutzindikatoren im Rahmen der betrieblichen Eigenkontrolle hat das KTBL den Leitfaden „Tierschutzindikatoren. Leitfaden für die Praxis – Schwein“ veröffentlicht. Dieser bietet ein Ablaufschema für jede Produktionsrichtung. Es wird erklärt, welche Indikatoren wann, wie oft und an welchen Tieren, z. B. an einer beschriebenen Stichprobe, erhoben werden sollten. Jeder Indikator wird kurz erläutert und es gibt Fotos bzw. Rechenformeln sowie weitere Hinweise zur Erhebung. Zudem enthält der Leitfaden Formulare, die für die Erhebung im Stall genutzt werden können.
Werkzeuge zur Erhebung von Tierschutzindikatoren
In dem Projekt „EiKoTiGer“ (Eigenkontrolle Tiergerechtheit) wurden die Tierschutzindikatoren auf ihre Praxistauglichkeit geprüft sowie verschiedene Anwendungshilfen erarbeitet. Dabei erleichtern die Excelanwendung und 2 Datenerhebungsformulare (Sau und Saugferkel, Aufzuchtferkeln und Mastschwein) Tierhaltende die systematische Erfassung tierbezogener Indikatoren im eigenen Stall. Die Werkzeuge stehen zum freien Download auf der KTBL Themenseite „Tierwohlbewertung“ zur Verfügung.
Die Indikatoren sind erfasst – was nun?
Wurden die betrieblichen Indikatoren erfasst, ist das schon mal die halbe Miete, jedoch verlangt der Gesetzgeber neben der Erfassung auch die Bewertung der betrieblichen Tierwohlsituation. Um jedoch eine Einschätzung der Ist-Situation auf dem eigenen Betrieb zu bekommen und Optimierungsmöglichkeiten zu erkennen, braucht man Orientierungswerte. Daher wurde im Projekt „EiKoTiGer“ ein Orientierungsrahmen zu Einordnung der betrieblichen Tierwohlsituation anhand von Ziel- und Alarmwerten erarbeitet. In einem mehrstufigen Prozess wurden die aus einer zweistufigen Delphi-Befragung ermittelten Orientierungswerte mit Literaturergebnissen bzw. Daten aus Praxiserhebungen verglichen und in weiteren Fachgesprächen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Akteursgruppen vorgestellt, diskutiert und final abgestimmt. Der Orientierungsrahmen (Sauen und Saugferkel, Aufzuchtferkel und Mastschweine) wurde 2020 online veröffentlicht und steht zur kostenfreien Nutzung zur Verfügung.
Hinsichtlich der betrieblichen Tierwohlsituation ist alles im grünen Bereich, wenn die betriebsindividuell ermittelten Werte zwischen dem Optimalzustand und dem Zielwert liegen. Für die Werte im Zielbereich liegt nach bisherigen Erkenntnissen bezüglich des Indikators kein Tierwohlproblem vor. Wird der Alarmwert überschritten, ist der Alarmbereich erreicht, in dem nach bisherigen Erkenntnissen bezüglich des Indikators ein Tierwohlproblem mit akutem Handlungsbedarf besteht. Befinden sich die eigenen Werte zwischen dem Ziel- und Alarmwert sollte dies als Frühwarnung gesehen werden. Die betreffenden Indikatoren sollten über einen längeren Zeitraum beobachtet, mögliche Ursachen geprüft und gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der Tierwohlsituation getroffen werden. Im Bedarfsfall sollten eine Spezialberatung und/oder der bestandsbetreuende Tierarzt hinzugezogen werden.
Online-Schulung „Tierschutzindikatoren“
Vor der Erhebung ist es empfehlenswert, sich in die Anwendung der Tierschutzindikatoren zu schulen. In der kostenfreien Online-Schulung „Tierschutzindikatoren“ erhalten Tierhaltende Informationen zu den Indikatoren und können die Anwendung der Indikatoren anhand von Fotos und Videos üben. Der eigene Schulungserfolg kann dann mittels Online-Test überprüft werden. Zudem wird nach erfolgreicher Registrierung ein personalisiertes Zertifikat über die Schulungsteilnahme ausgestellt (nicht in der Demoversion erhältlich).
Fazit
Die betriebliche Eigenkontrolle bezweckt, dass sich Tierhaltende mit den Gegebenheiten, Besonderheiten und ggf. Problematiken in ihren Betrieben auseinandersetzen und sich deren bewusst sind. Im Alltag kann sich eine gewisse Betriebsblindheit einschleichen, der durch einen objektiveren Blick auf die betriebliche Tierwohlsituation entgegengewirkt werden kann. Eine regelmäßige Erhebung von Tierschutzindikatoren bietet die Chance, betriebsindividuelle Optimierungsmaßnahmen frühzeitig einzuleiten. Sie dient außerdem zur Erfolgskontrolle der eingeleiteten Maßnahmen. Die Einordnung der eigenen Betriebszahlen kann auch eine Motivation sein, die Tierwohlsituation im Betrieb zu verbessern. Die Eigenkontrolle sollte immer die Erfassung aller möglichen Tierwohlprobleme umfassen, gleichzeitig darf sie aber auch im Zuge eines risikoorientierten Arbeitens betriebsspezifisch angepasst werden, wenn man sich nach einer Vollkontrolle einen Überblick über die Schwachstellen im eigenen Betrieb verschafft hat.
Weitere Informationen
KTBL Themenseite „Tierwohlbewertung“:
Kostenfreier Download der Werkzeuge zur Erhebung von Tierschutzindikatoren sowie weitere Informationen
Quellen
KTBL, Thünen-Institut, Friedrich-Loeffler-Institut, Universität Kassel (2021): „Wie wurde der Orientierungsrahmen für die betriebliche Eigenkontrolle mit Ziel- und Alarmwerten erarbeitet?, Online-Dokument, abgerufen am 24.03.2022
Schrader, L., Schubbert, A., Rauterberg, S., Czycholl, I., Leeb, C., Ziron, M., Krieter, J., Schultheiß, U., Zapf, R. (2020): „Tierschutzindikatoren: Leitfaden für die Praxis – Schwein“, 2. aktualisierte Auflage, KTBL-Sonderveröffentlichung, Herausgeber: Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. (KTBL), Darmstadt.