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Kein Problem mit lahmen Kühen – Früherkennung von Klauenproblemen und erste Maßnahmen

  • Dr. Hans-Joachim Herrmann, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen
  • Antoine Janssen, Fachagrarwirt Klauenpflege
  • Dr. Fanny Rachidi, Klinik für Klauentiere, Universität Leipzig
  • Mag. Hubert Reßler, Hochstädter Klauenpflege GmbH
  • Dr. Jörg Willig, Rindergesundheitsdienst, LUFA Nord-West 

 

  • Caroline Leubner, Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen

Einleitung

Lahmheit ist laut der PraeRi-Studie (2020) in der modernen Milchkuhhaltung immer noch ein aktuelles Problem in der Bundesrepublik. In Nord- und Süddeutschland zeigte sich, dass nahezu jede vierte Kuh (22,8 % und 22,7 %) und in den ostdeutschen Bundesländern mehr als jede dritte Kuh (39,4 %) lahm geht. Dieses Problem wird oftmals durch die Landwirte unterschätzt. Ihrer Einschätzung nach gingen nur 9,5 % ihrer Kühe in Nord- und Süd- und 7,1 % in Ostdeutschland lahm.

Die Jungrinder werden bei der Lahmheitsbeobachtung meist gar nicht einbezogen. In Studien von 2012 zeigte sich zudem, dass die lahmenden Tiere meist spät erkannt werden: hochgradige Lahmheiten wurden erst nach 21 Tagen und geringgradige Fälle meist erst mit 70 Tagen Verzögerung wahrgenommen.

Beim Vergleich des IST-Zustandes und der individuellen Wahrnehmung wird deutlich, dass gerade diese Schere eine Schwachstelle darstellt. Betriebsblindheit ist der Faktor gegen den gearbeitet werden muss, um Lahmheiten frühzeitig zu erkennen. Ergänzend müssen das Know-how der Betriebsleitenden sowie das Management verbessert werden.

Für die Einordnung des eigenen Betriebes können die nachfolgenden Zielwerte herangezogen werden. Diese Werte beziehen sich auf den Anteil an Tieren mit mindestens einer moderaten Lahmheit, die im Locomotionscore nach Sprecher et al. (1997) ab Lahmheitsstufe 3 eingestuft wird.

Tabelle 1: Richtwerte für den Anteil von Tieren mit einer moderaten Lahmheit (nach Sprecher et al. , 1997)
OrientierungswertAkzeptabelAlarmwert
< 10 %10 – 20 %> 20 %

Die für den Betrieb passenden Zielwerte sind mit dem Klauenpfleger und dem Tierarzt abzusprechen, um betriebsindividuelle Ziele festzulegen.

Anspruch für gute Betriebe sollte bei unter 10 % lahmender Tiere liegen. Zudem sollten lahmende Tiere schon im Anfangsstadium erkannt und dementsprechend behandelt werden. Das dies machbar ist, bestätigte sich in Österreich beim „KlaueCheck – Benchmarking der Klauengesundheit“. Hierbei wurden jahrelang Klauendaten gesammelt. Die Ergebnisse zeigten, dass die oberen 10 % der Betriebe im Jahr 2020 den Anteil von lahmenden Kühen (Alarmbefund) auf 6 % halten konnten.

Das Ziel für hochgradige Lahmheiten ab Lahmheitsstufe 4 und 5 sollte sein, dass keine Tiere davon unbehandelt im Stall herumlaufen. Anzustreben ist, dass diese Lahmheitsstufen im Betrieb bei 0 % liegen.

Lahmheit bedeutet Schmerz

Dass lahmende Kühe schleunigst behandelt werden sollten, muss jedem klar sein. Denn lahmende Kühe sind deutlich in ihrem Tierwohl eingeschränkt. Je stärker die Schmerzen, desto deutlicher die Lahmheit. Regelmäßig und vermehrt auftretende Lahmheiten im Bestand können deshalb Tierschutzrelevanz haben. Zudem fressen die Kühe weniger, sind anfälliger für Stoffwechselerkrankungen und Euterentzündungen und können schlechtere Fruchtbarkeitsparameter aufweisen. Des Weiteren ist die Milchleistung beeinträchtigt.

Oberste Priorität für den rinderhaltenden Betrieb ist die Vermeidung von Lahmheiten. Treten sie auf, muss den Tieren schnell und sachkundig geholfen werden. Um der Kuh ein lahmheitsarmes Leben zu ermöglichen, ist die frühzeitige Erkennung besonders wichtig. So kann zeitnah bei Tieren mit auffälligem Gangbild Abhilfe geschaffen werden, sodass Lahmheiten (ab Stufe 3) nicht mehr zur Tagesordnung gehören. Die Prognosen für einen Heilungserfolg von Klauenerkrankungen sind bei früher Diagnose deutlich verbessert. In einer Studie bestätigte sich, dass je besser lahme Kühe am Betrieb erkannt wurden (Farmers´ Detection Index), desto weniger lahme Kühe gab es in der Herde.                                                                                                Allerdings kann die Klauengesundheit nicht ausschließlich durch Lahmheitsbeobachtungen beurteilt werden, sondern muss auch im Klauenpflegestand beurteilt werden.

Abseits vom Tierwohl und der Tiergesundheit spielen die ökonomischen Folgen eine Rolle. Berechnungen ergaben Gesamtkosten von 130 bis 600 € pro Erkrankungsfall. Dies kann einen Verlust von 5 bis 10 % des Jahresgewinns pro Kuh für den Landwirt bedeuten.

Kostenfaktoren sind:

  • erhöhter Zeitaufwand für Management und Behandlung
    • mehr Arbeitsstunden
  • reduzierte Fruchtbarkeit
    • nehmen später auf (bis 40 Tage später)
  • frühzeitige Merzung
    • bei schlachttauglichen Tieren reduziert sich das Schlachtgewicht
  • bei starker Lahmheit
    • Milcheinbuße und Sperrmilch aufgrund von Medikamenten
    • ggf. schlechtere Körperkondition (BCS)
  • Tierarztkosten und Medikamente

Größte Einbußen bei der Milchleitung gemessen an der Laktationszahl zeigen sich bei Erstlaktierenden mit Lahmheit in der Transitphase (Puerto et al., 2021). Auch die Milchinhaltsstoffe werden durch Lahmheiten beeinflusst. In einer Untersuchung von Kofler et al. 2021 kam heraus, dass Kühe mit hochgradigen und wiederholten Lahmheiten in einer Laktationsperiode im Mittel 319 kg Milch, 10,8 kg Fett, 16,6 kg Eiweiß weniger produzierten als gesunde Kühe.

Zusätzlich müssen die indirekten Kosten mitberechnet werden. Betriebe mit höheren Lahmheitsraten merken diese Kosten meist nicht, weil diese für sie ständig anfallen. Bei Verbesserungen der Zielwerte würden diese allerdings als Gewinn wahrnehmbar werden. Solche Kosten entstehen zum Beispiel bei:

  • einer unbeabsichtigten Verlängerung der Zwischenkalbezeit
  • dem Risiko einer erneuten Lahmheit sowie anderer Krankheiten
  • frühzeitiger Merzung inklusive Nottötung aufgrund des Verlustes der Transportfähigkeit oder Schlachttauglichkeit (Dahl-Pedersen et al. 2018 zeigten, dass die Beurteilung der Transportfähigkeit von lahmen Kühen durch Landwirte, Viehhändler und Veterinäre nur mäßig übereinstimmt)
  • der Reduzierung des Schlachtgewinns (bis zu 178 €; Hufe et al., 2021)
  • den Kosten der Färsenaufzucht bei frühzeitiger Merzung
  • Klauenerkrankungen bei Färsen, die sich negativ auf die restliche Lebenszeit auswirken (bei einer Erkrankung mit schweren Klauenhornläsionen wird das Wohlergehen, die Gesundheit und Produktivität über die restliche Lebenszeit negativ beeinflusst; Randall et al., 2016)

Was bedeutet lahm und wann wird von Lahmheit beim Rind gesprochen?

Laut Definition ist die Lahmheit eine Gangveränderung aufgrund einer schmerzbedingten, funktionellen oder strukturellen Störung des Bewegungsapparates und eine mechanisch bedingte Störung des Gangbildes. Lahmheit ist somit ein Symptom. Die Ursache liegt in ca. 90 % der auftretenden Lahmheitsfälle bei Erkrankungen im Bereich des Unterfußes, die im Bereich der Klaue und der umliegenden Haut lokalisiert sind. Die meisten Klauenerkrankungen treten an den Hintergliedmaßen auf und können zum Teil auch eine beidseitige Lahmheit auslösen, sodass das Gliedmaßenpaar betroffen ist.

Wichtig zu wissen ist, dass Rinder aufgrund ihrer Natur als Beutetier Schmerzen erst sehr spät „nach außen“ zeigen, denn dies signalisiert dem „Angreifer“ Schwäche. Zudem werden in Stresssituationen die Schmerzen unterdrückt. Besonders zeigt sich dies in Situationen, wie z. B. nach dem Klauenpflegeschnitt, wenn die Kuh die ersten Schritte aus dem Klauenpflegestand läuft, oder bei der Brunst. Dadurch wird dem Landwirt oftmals ein falsch sicheres Gefühl vermittelt, dass es der Kuh bessergeht oder sie keine Schmerzen (mehr) hat.

Empfehlung routinemäßige Überprüfung

Die frühzeitigen Warnsignale zu erkennen, zu erfassen und darauf zu reagieren bedeutet Zeitaufwand. Dieser personelle Aufwand und die für viele wahrgenommene „verlorene Arbeitszeit“ ist nicht wirklich verloren. Im Gegenteil: Es zahlt sich aus, dass die Tiere gesund bleiben und keine zusätzliche Behandlung, abseits der routinemäßigen Klauenpflege, benötigen. Es entstehen keine oder weniger ökonomischen Schäden oder Tierverluste.

Das Ziel ist somit eine regelmäßige Kontrolle der Rinder auf Lahmheit. Dies sollte nicht während anderer Tätigkeiten nebenher, sondern am besten als eigenständige Aufgabe regelmäßig eingeplant werden, z. B. wöchentlich. Zusätzlich sollte bei jedem Arbeitsschritt im Stall zumindest der Blick über die Tiere gehen. Schwere Lahmheit ist dadurch sofort erkennbar, aber die Früherkennung bedeutet nochmal ein besonderes Augenmerk und gesonderte Routine.

3.1. Beinstellung, Rückenlinie, Entlastungshaltung

Mindestens alle 14 Tage sollte auf die Beinstellung, die Rückenlinie und auf Entlastungshaltungen geachtet werden (nachfolgend beschrieben). Es kann betriebsindividuell entschieden werden, wie die Überprüfung in den Betriebsablauf integriert werden soll. Der beste Blick hierfür ist, die Kühe zur Futtervorlage am Fressgitter von hinten und von der Seite zu betrachten (Abb. 3). Der Fokus wird so auf die Klauen und auf den Rücken gelegt. Beim konventionellen Melken kann auch im Melkstand auf die Beinstellung und auf Entlastungshaltungen geachtet werden. Eine gute Ausleuchtung ist dabei wichtig, die durch Taschenlampen oder Stirnlampen erreicht werden kann. Klauenerkrankungen, wie z. B. Dermatitis Digitalis (DD), die bei der Beurteilung beobachtet werden, sollten sofort dokumentiert und im Anschluss direkt behandelt werden.

Nicht nur die melkenden Kühe, sondern auch die Jungrinder sowie die Trockensteher sind zu berücksichtigen. Auch sie sollten mindestens alle 14 Tage begutachtet werden. Da diese Tiere nicht zum Melken oder öfters hin und her getrieben werden, werden die lahmenden Tiere meistens nicht schnell erkannt. Deswegen: Trockensteher und Jungrinder nicht vergessen!

Worauf ist mindestens alle 14 Tage zu achten?

Beinstellung

Zur Entlastung der Innenklaue stellt die Kuh ein Vorderbein über das andere.

Verlagerung der Belastung der unterschiedlichen Klauen. Meist ist dies ein Anzeichen, dass mehrere Klauen betroffen sind.

Gekrümmte Rückenlinie

Erst ab einem höheren Lahmheitsgrad zeigt die Kuh eine Krümmung des Rückens beim Stehen. Dies ist ein Anzeichen, dass die Kuh bereits stärkere und länger anhaltende Schmerzen hat.

Entlastungshaltung

Bei der Entlastungshaltung werden die schmerzhaften Klauen entlastet. Dies kann unterschiedlich aussehen:

  1. Ein Bein wird zur Seite gestellt, um die schmerzhafte Außenklaue zu entlasten.
  2. Ein Bein wird unter die Brust oder den Bauch gestellt, um die Innenklaue zu entlasten.
  3. Das Tier beugt die Zehe, sodass nur die Spitze aufgestellt wird. Ein sogenanntes „Hochheben“ des Fußes.

Mittel- und hochgradige Schwellungen

Schwellungen im Bein- und Klauenbereich sind umgehend dem Tierarzt vorzustellen und zu behandeln.

Muskelatrophie

Die Muskelatrophie ist eine Schwächung der Muskelzellen, welche sich im Krankheitsverlauf abbauen. Die Muskelatrophie ist auch unter dem Begriff Muskelschwund bekannt. Hierbei nimmt die Muskelmasse sichtbar ab. Es ist ein eindeutiges Zeichen, dass die Lahmheit seit mindestens zwei Wochen besteht.

3.2. Lahmheitserkennung in der Bewegung

Eine korrekte Lahmheitserkennung in der Bewegung sollte, wie die Begutachtung am Fressgitter, im Betriebsablauf integriert werden. Die Überprüfung wird auf einem festen Untergrund, der rutschfest und eben ist, durchgeführt. Am besten sollte sie auf bekannten Wegen stattfinden, die die Kühe kennen und die ausreichend beleuchtet sind. Ruhe ist dabei auch ein wichtiger Punkt, da wie bereits angesprochen, die Rinder in Stresssituationen ihre Lahmheit zu verbergen versuchen. Geeignete Plätze können der Ausgang aus dem Melkstand oder der Weideaustrieb sein.

Wie eine Lahmheitserkennung vorbereitet wird und genau erfolgt, ist der folgenden Anleitung zu entnehmen:

Klauenfitnet 2.0 - Merkblatt Bewegungsbeurteilung

Vorlage Bewegungsbeurteilung

Das Projekt Klauenfitnet stellt zusätzlich Lerninhalte in einem e-learning-Programm bereit.

zum e-learning Programm

 

 

 

Lahmheitsbeurteilungssysteme

Für die Bewegungsbeurteilung wird dabei der Locomotion Score nach Sprecher et al. (1997) angewendet. Im Laufe der Jahre wurden allerdings auch weitere Lahmheitsbeurteilungssysteme genutzt.

  • Aufgeführte Autoren von den Jahren 1988 – 2008 in der Literaturübersicht Kapitel „visuelle Lahmheitsbeurteilungssysteme“ (ab Seite 11) von C. Orgel (2010). Regelmäßige Beurteilung von Lahmheiten bei Milchkühen und die Auswirkung von Lahmheit auf die Milchleistung, die Fruchtbarkeit und den Gesundheitsstatus in verschiedenen Milchviehbetrieben. Tierärztliche Hochschule Hannover. Dissertation
  • 3 Punkte-Gangbeurteilung nach Grimm & Lorenzini (2018) 
  • Scoringsystem für Lahmheiten nach Starke et al. (2007). In Infektiöse Klauenerkrankungen des Dermatitis-Digitalis-Komplexes; Schriftenreihe, Heft 16/2021 (Seite 22)

3.3. Sonstige Auffälligkeiten

Bei jeder Handlung im Stall können alle zuvor genannten Veränderungen ebenso beobachtet werden. Zudem geben noch weitere Auffälligkeiten Aufschluss auf Lahmheitsprobleme. Bei konventionell melkenden Betrieben, die zum Melken treiben, können Treiber auf Veränderungen der Kuhreihenfolge achten. Gleiches gilt beim Weideaustrieb und dem Reintreiben der Kühe. Die Kühe, die am Ende der Gruppe gehen sind dabei immer Lahmheits-verdächtig.

Auch bei der regelmäßigen Boxenpflege können Abweichungen des Tierverhaltens wahrgenommen werden. Ein veränderter Aufstehvorgang kann sowohl beim Auftreiben zum Melken sowie bei der Boxenpflege wahrgenommen werden. Dieser kann auf eine Lahmheit hinweisen. Im 5-Minuten-Check sind diese Abweichungen aufgeführt . Alle wahrgenommenen Auffälligkeiten sind sofort zu notieren und ggf. können die so identifizierten Kühe direkt separiert und in den Klauenpflegestand geführt werden.

 

3.4. Digitale Lahmheitserkennung

Die Digitalisierung nimmt in der heutigen Zeit einen großen Stellenwert im Management der Betriebe ein. Die Technik ist in vielen Betrieben nicht mehr wegzudenken. Sie erleichtert die Arbeit, unterstützt die Tierbeobachtung und vieles mehr.

Im Bereich der Lahmheitserkennung im Rinderbereich ist die Forschung bereits sehr aktiv. Denn die Lahmheitskontrolle erfordert viel Zeit und ein geschultes Auge. Zudem ist die Einschätzung subjektiv.

Daher wird versucht eine Lahmheit frühzeitig digital zu erkennen, sodass die Behandlung an den Klauen zum schnellsten Zeitpunkt durchgeführt wird und keine starke Lahmheit entsteht.

Auch wenn die Digitalisierung auf dem Vormarsch ist, ist die persönliche Tierbeobachtung und gezielte Gangbeobachtung immer noch das A & O und darauf sollte nicht verzichtet werden. Die digitale Lahmheitserkennung kann als Hilfsmittel neben der Tierbeobachtung genutzt werden und somit eine sinnvolle Unterstützung sein. In einer aktuellen Studie zeigte sich, dass Algorithmen aus Melkroboter-Daten in Kombination mit weiteren Tier- und Betriebsinformationen wertvolle Ergebnisse liefern könnten, um schon frühzeitig eine leichte Lahmheit zu erkennen (Lemmens et al., 2023).

Beispiele, die unterstützend Informationen liefern können:

  • Automatisches Melksystem (Tagesmilchproduktion, Anzahl Besuche, Futterreste)
  • Pedometer
  • Pedometer in Kombination mit Nasenbandsensoren (Kopfbewegungen, Fressperiodenlänge, Wiederkäuen, Trinken)
  • Systeme als Ohrmarken oder für Halsbänder

Die Technik ist für eine komplett automatisierte Lahmheitserkennung zum jetzigen Stand noch nicht ausgereift. Kommerziell ist daher auch noch kein zuverlässiges System auf dem Markt verfügbar.

 

Lahmheitsbeurteilung und deren Konsequenzen

Eine alleinige Lahmheitskontrolle reicht leider nicht aus, um das Lahmheitsgeschehen im Stall zu verbessern. Wenn diese durchgeführt wird, müssen auch im Nachhinein Konsequenzen erfolgen. Das heißt, dass auffällige Tiere umgehend behandelt werden müssen, damit keine hochgradige Lahmheit entsteht. Dies erfordert eine gute Organisation im Betrieb. Besonders bei großen Herden erfordert es Organisationstalent, z. B. wenn 20 % von 1000 Kühen lahm sind, heißt das, dass 200 Kühe in den Klauenpflegestand verbracht werden müssen.

Hierbei, aber auch bei kleineren Betrieben ist eine betriebsindividuelle Strategie wichtig. Im Artikel „Integration und Organisation der Klauenpflege“ sind wertvolle Tipps zum Klauenpflegeturnus aufgeführt. Allerdings sind die lahmenden Tiere immer gesondert zur routinemäßigen Klauenpflege zu betrachten.

Zügige Behandlung von lahmenden Kühen

Die detektierten und dokumentierten lahmenden Tiere benötigen eine zügige Behandlung. Topbetriebe reagieren schon bei einem Lahmheitsgeschehen von Score 2 (spätestens Score 3) nach Sprecher et al. (1997) und verbringen die Tiere in den Klauenpflegestand.

Betriebe mit hohen Anteilen an lahmenden Kühen haben schwierige Entscheidungen zu treffen. Bei vielen lahmenden Tieren im Betrieb muss in einer „Triage“-Entscheidung gedacht werden. Hierfür muss die Kuh im Ganzen betrachtet werden. Lahmende Kühe mit niedrigem Body-Condition-Score (BCS), einer eingefallenen Hungergrube oder schlechten Allgemeinzustand sollten eine sofortige Behandlung bekommen.

Auch Frischmelker, Hochleistungskühe oder hochträchtige Tiere haben in solch einem Fall Vorrang. Bei hochträchtigen Kühen ist dies vorab mit dem Tierarzt und dem Klauenpfleger abzusprechen. Eine vorherige klinische Untersuchung ist in diesem Fall ratsam. Natürlich ist auch der Schweregrad der Lahmheit entscheidend. Leichtlahmende Tiere sollten dabei aber nicht aus dem Radar fallen, daher ist die Dokumentation eine wichtige Maßnahme. Das Ziel sollte weiterhin lauten, dass frühzeitig lahme Tiere entdeckt und auch behandelt werden.

Bei Betrieben mit vielen lahmen Tieren müssen Sanierungsprogramme etabliert werden. Zudem ist es unbedingt nötig, sich über die Gründe der Klauenprobleme im Betrieb Gedanken zu machen, um den Teufelskreis zu durchbrechen. Sprechen Sie mit ihrem Tierarzt, Klauenpfleger und Fütterungsberater.

"Triage"-Entscheidung bei Betrieben mit hohen Lahmheitsquoten und hohen Tierzahlen

  1. Niedriger BCS, eingefallene Hungergrube, schlechter Allgemeinzustand
  2. Schwerlahmende Frischmelker, Hochleistungskühe, hochträchtige Kühe (mit Tierarzt abklären)
  3. Schwerlahmende Kühe in gutem Allgemeinzustand
  4. Leichtlahmende Kühe

Dokumentation

Sollten Lahmheiten bei Tieren beobachtet werden, ist dieses sofort zu notieren. Ob handschriftlich oder digital ist zunächst unerheblich. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, dass die Dokumentation einfach, effektiv, übersichtlich und auch später noch nachvollziehbar ist. Eine Dokumentation ist immer notwendig, um Krankheitsverläufe festzuhalten.

Wie im Kapitel zuvor beschrieben, macht es Sinn auch den Grad der Lahmheit aufzunehmen, um die Dringlichkeit der Behandlung einschätzen zu können. Wenn die Kapazität einer sofortigen Behandlung fehlt, sollten folgende Dinge notiert werden:

  • Seit wann besteht die Lahmheit?
  • Sind Verbesserungen oder Verschlechterungen seit dem Zeitpunkt der ersten Lahmheitserkennung aufgetreten?

Ein vorbereiteter Erhebungsbogen zur Bewegungsbeurteilung ist hier verfügbar:

Erhebungsbogen Bewegungsbeurteilung (Klauenfitnet 2.0) 

Die Bodenbeschaffenheit sollte zudem mit dokumentiert werden. Gummiböden verschleiern die Lahmheit etwas, da sie den Druck auf die Klaue etwas abpuffern. Daher können lahme Tiere auf Betonböden nicht mit lahmenden Tieren auf Gummiböden verglichen werden.

Sobald das Tier im Klauenstand behandelt wird, ist dies zu dokumentieren:

  • Datum
  • Befunde
  • Behandlung: Was wurde gemacht?
  • Nachsorge: Klotzkontrolle und Verbandswechsel

Im Anschluss an die Behandlung sollte die Lahmheitskontrolle zur Überwachung des Heilungserfolges bis zur Entlassung des Tieres engmaschig durchgeführt werden. Bei der nächsten Lahmheitskontrolle ist darauf zu achten, ob das Tier chronische Veränderungen im Bewegungsablauf zeigt oder neu erkrankt ist.

Aktuelle Projekt zur Lahmheitserkennung

Literatur

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