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Bruderhahnaufzucht – Echte Perspektive oder Zwischenlösung?

Alternativen zum Kükentöten

Ausgangssituation

Jedes Jahr schlüpfen ca. 45 Millionen männliche Küken der Legelinien in Deutschland. Die als „Bruderhähne“ bezeichneten männlichen Legehennen-Küken weisen einen geringen Fleischansatz auf und wurden bis vor kurzem als Eintagsküken getötet. Mit dem steigenden Wunsch der Verbraucher und den vermehrten Bestrebungen der Geflügelbranche, werden unterschiedliche Konzepte entwickelt um eine Alternative für das Töten von Eintagsküken zu finden.  Im Mai 2021 hat die Regierung den Ausstieg aus dem Kükentöten ab dem 1. Januar 2022 beschlossen. Ab dem Jahr 2024 wird unter Umständen zusätzlich die Geschlechtsbestimmung im Ei nach dem 6. Bruttag verboten. Grund hierfür ist, dass Embryonen mindestens bis zum 6. Bruttag kein Schmerzempfinden aufweisen.

Bruderhahnaufzucht als Alternative zum Kükentöten

Als Alternativen kommen die Bruderhahnaufzucht, der Einsatz von Zweinutzungshühnern und die Geschlechtsbestimmung im Ei in Betracht. Die bislang praktikablen Verfahren der Geschlechtsbestimmung sind durch ihre begrenzte Kapazität bislang nicht breitflächig in den Brütereien etablierbar. Zudem erfüllen sie mit Blick auf den Stichtag 1. Januar 2024 nicht die Forderung nach der Bestimmungsfähigkeit vor dem 7. Bruttag. Weitere Informationen zur Geschlechtsbestimmung im Ei finden Sie unter Tierwohl Geflügel Geschlechtsbestimmung - Fokus Tierwohl.

An der Zucht und Haltung von Zweinutzungshühnern wird seit Jahren intensiv geforscht. Doch durch die geringe Wirtschaftlichkeit vor allem bei den Zweinutzungs-Legehennen wird die Haltung bislang nur als Nische angesehen. Daher rückt die Aufzucht von Bruderhähnen immer weiter in den Fokus der Debatte. Die deutschen Bioverbände haben sich bereits gegen die Geschlechtsbestimmung im Ei ausgesprochen, sodass auch in diesem Sektor die Bruderhahnaufzucht von hoher Bedeutung ist.

Marktbedingungen

Die Entscheidung der Regierung in Verbindung mit der kurzen Übergangsfrist bis 2022 bringt nicht nur die deutschen Legehennenhalter in Zugzwang, sondern auch die Brütereien. Diese sind verpflichtet, die männlichen Küken nach dem Schlupf an Aufzüchter zu vermitteln. Derzeit fehlt es zwar noch an Abnehmern der männlichen Küken, aber die Kapazitäten werden stark ausgebaut.

Die weiteren Konsequenzen sind bislang noch schwer abzuschätzen. Es ist davon auszugehen, dass ein Teil der Bruderhähne - wie auch schon jetzt - im europäischen Ausland aufgezogen wird. Bei der Aufzucht der Bruderhähne im Ausland sind die Haltungsbedingungen nur schwierig nachzuverfolgen und es fallen wahrscheinlich längere Transportwege für die Küken an. Allerdings müssen die unter dem KAT-System (Verein für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen e.V.) aufgezogenen Bruderhähne auch im Ausland die Richtlinien künftig einhalten. Ob auch Brütereien ihre Produktion ins Ausland verlagern werden, ist derzeit nicht absehbar, zumal der Lebensmitteleinzelhandel verstärkt und erfolgreich mit Eiern „ohne Kükentöten“ wirbt. Diese Kennzeichnung bezieht sich bislang jedoch nur auf das Schaleneier-Sortiment, welches gerade mal die Hälfte der konsumierten Eier in Deutschland ausmacht. Junghennenaufzüchter ohne KAT-Zertifizierung können auch in Zukunft Küken aus dem Ausland importieren. Ohne dem Verzicht auf das Kükentöten können die Junghennen und letztendlich auch die Eier billiger vermarktet werden und es kommt zu einer Wettbewerbsverzerrung.

Unklar ist bislang, wie die erhöhten Aufzuchtkosten kompensiert werden können, um die deutsche Eierproduktion wettbewerbsfähig zu halten. Hier kommt guten Vermarktungsstrategien eine wichtige Rolle zu. Die kostspielige Haltung der männlichen Tiere wird nicht nur über den Verkaufserlös des Fleisches finanziert, sondern überwiegend mit einer Quersubventionierung über einen 2 bis 4 Cent höheren Eierpreis.

Die Nutzung der getöteten männlichen Eintagsküken als Futtertiere wird noch immer als Argument für Ausnahmeregelungen vom Verbot des Kükentötens angeführt. Die Bundesregierung hat jedoch klargestellt, dass es solche nicht geben wird. Entsprechend werden Futterküken künftig aus dem Ausland importiert werden müssen.

 

Haltung der Bruderhähne

Die Aufzucht von Bruderhähnen ist eine relativ neue Produktionsrichtung und stellt die Tierhalter vor neue Herausforderungen. Rechtliche Vorgaben für die Haltung von Bruderhähnen gibt es im Moment noch nicht. Im Zuge der geplanten Aufnahme der Junghennenhaltung in die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung sollen aber die Bruderhähne ebenfalls aufgenommen werden. Zurzeit zählen die Bruderhähne rechtlich gesehen noch zu den Masthühnern. Durch die unterschiedlichen Verhaltensweisen (z.B. vermehrtes Aufbaumen, Rangkämpfe, Agilität) und den biologischen Leistungen der Tiere ähneln sie jedoch mehr ihren Schwestern, den Junghennen. Aus diesem Grund können sie auch gemischtgeschlechtlich aufgezogen werden, sodass die Geschlechtsbestimmung nach dem Schlupf vermieden werden kann. Durch ein unterschiedliches Impfprogramm zwischen den männlichen und weiblichen Tieren ist diese aber deutlich teurer als eine getrennte Aufzucht.

Die meisten der in Deutschland produzierten Eier stammen aus Betrieben mit KAT-Zertifizierung Mit dem neuen Leitfaden für die Aufzucht hat der Verein beschlossen, dass ab Januar 2022 nur noch KAT‑Junghennen eingestallt werden dürfen, wenn die Aufzucht der Bruderhähne ebenfalls unter den KAT-Anforderungen erfolgt. Dadurch wird es künftig für die meisten Junghähne Mindestanforderungen sowohl für die konventionelle als auch die ökologische Aufzucht geben. In Arbeit sind zurzeit noch Empfehlungen der Länder sowie weitere Richtlinien der Bio-Verbände und die EG-Öko-Verordnung, welche ebenfalls 2022 in Kraft treten soll.

Um im Jahr 2022 alle Hähne in Deutschland aufziehen zu können, benötigt es vor allem Stallkapazitäten, die noch nicht ausreichend vorhanden sind. Häufig werden dafür ehemalige Enten- und Hähnchenmastställe umfunktioniert. Für die Umnutzung der Ställe zur Bruderhahnaufzucht werden allerdings teilweise langwierige Genehmigungsverfahren benötigt.

Futter- und Tränkebahnen von Masthühnern können dabei weiter für die Aufzucht der Bruderhähne genutzt werden. Diese müssen jedoch mit einem Drahtseil als Aufsitzschutz ausgerüstet oder verstärkt werden, um sie als Sitzstangen zu nutzen. Der Stall muss insgesamt gut strukturiert sein, um dem agileren Verhalten der Tiere gerecht zu werden und Rangkämpfe, Federpicken und Kannibalismus zu vermeiden. Dafür sollten so früh wie möglich Sitzstangen oder erhöhte Ebenen und Beschäftigungsmaterial (z.B. Heuballen, Staubbademöglichkeiten) angeboten werden. Der Zugang zu einem Kaltscharraum und einem Auslauf kann den Tieren zusätzliche Anreize bieten.

Beim Platzbedarf herrscht derzeit noch Uneinigkeit. Während bei KAT max. 18 Tiere pro m² Nutzfläche ab 01.07.2024 gefordert werden, zeigen Praktikererfahrungen, dass ein geringerer Besatz von 13 bis 15 Tieren pro m² günstiger ist, um aggressives Verhalten zu vermeiden. Vorteilhaft für die Aufzüchter ist die im Vergleich zur Hähnchenmast deutlich längere Aufzuchtperiode von 10 bis 22 Lebenswochen, die entsprechend mit wenigeren Serviceperioden einhergeht. Tendenziell zeichnen sich ein geringerer Antibiotikaeinsatz und niedrigere Verlustraten bei den Junghähnen ab. Durch die längere Haltungsperiode sollte ein angepasstes Impfprogramm in Erwägung gezogen werden.

Die Futterverwertung von Bruderhähnen liegt im Vergleich zu Masthybriden etwa doppelt so hoch. Bei einer Aufzucht unter konventionellen Bedingungen bis 1,5 kg Lebendgewicht beträgt diese ca. 1: 3,0-3,5. Bei einer verlängerten Aufzucht verschlechtert sich die Futterverwertung noch weiter. Die Bruderhähne haben jedoch das Potential, befriedigende Leistung bei einer geringeren Proteinversorgung zu erzielen. Vor allem die schwereren braunen Herkünfte können bei einer angepassten extensiven Fütterung vergleichbare Mastendgewichte wie mit einem Standard-Mastfutter erzielen. Dabei müssen die Tiere unbegrenzt Zugang zum Futter haben, um den geringeren Proteingehalt durch eine erhöhte Futteraufnahme ausgleichen zu können. Des Weiteren kann der Energiegehalt gesenkt werden, um einen frühen Eintritt in die Geschlechtsreife, und damit verbundenen Hahnenkämpfen, vorzubeugen.

Dennoch bleibt die Ressourcennutzung ein kontrovers diskutiertes Thema, welches nicht zuletzt neben ökonomischen auch ökologische Aspekte umfasst.

Schlachtung und Vermarktung

Die Schlachtkörperzusammensetzung der Tiere unterscheidet sich maßgeblich von denen der Masthühner. Sie können daher nicht in den geläufigen Schlachtprozess integriert werden. Für die Schlachtung müssen daher entweder die Schlachtlinien umgerüstet werden oder es muss auf Legehennen-Schlachthöfe ausgewichen werden. Es empfiehlt sich, vor dem Einstieg in die Bruderhahnaufzucht die Abnahme durch einen geeigneten Schlachthof zu klären. Betriebe mit kleineren Herden haben eventuell auch die Möglichkeit, mit einem mobilen Schlachter zu arbeiten.

Die Junghähne haben einen vergleichsweise geringen Anteil an Brustfleisch, welches das wertvollste Teilstück ist. Stattdessen bildet sich ein höherer Fleischanteil an den Keulen aus. Für die Vermarktung sollten daher die positiven Merkmale des Fleisches hervorgehoben werden, wie den intensiven Geschmack, die etwas dunklere Färbung und die guten Fleischeigenschaften. Um eine gute Wirtschaftlichkeit zu erzielen, kann das Fleisch als Premiumprodukt vermarktet und über die Quersubventionierung der Eier unterstützt werden.

Für die Vermarktung haben sich deutschlandweit einige einzelbetriebliche und überbetriebliche Initiativen gebildet, die unter eigenem Label ihre Produkte bewerben. Trotzdem ist eine gezielte Verbraucheraufklärung notwendig, um die Vorteile des Bruderhahnfleisches in den Köpfen zu verankern und die Zahlungsbereitschaft für das vergleichsweise teurere Fleisch zu erhöhen.

Fazit

Die Mehrheit der Verbraucher lehnt das Töten der männlichen Küken aus Legelinien ab. Damit die Alternative der Bruderhahnaufzucht erfolgreich sein kann, müssen die Produkte daraus (Frischeier, Fleisch, Verarbeitungsprodukte) Akzeptanz finden. Der höhere Futterverbrauch, die längere Aufzuchtdauer, die spezifische Schlachtkörperbeschaffenheit und die Schlachtung in speziellen Schlachtlinien tragen zu höheren Produktionskosten bei. Verbraucher müssen daher über die besonderen Umstände bei der Aufzucht von Bruderhähnen aufgeklärt werden, um den Mehrpreis der Produkte einordnen zu können. Am Ende entscheiden die Verbraucher durch ihr Kaufverhalten über den Erfolg der Bruderaufzucht.

Quellen

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DGS Magazin für die Geflügelwirtschaft (2020): Harte Töne aus der Politik. DGS Heft 40, Jahrgang 72.

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Verbraucherzentrale.de (2021): Tötung von Eintagsküken soll 2022 enden: Diese Alternativen gibt es www.verbraucherzentrale.de/wissen/lebensmittel/lebensmittelproduktion/toetung-von-eintagskueken-soll-2022-enden-diese-alternativen-gibt-es-11924

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Waterloh, B. (2020) Ein ganzer Stall voll Hähne. Landwirtschaftliches Wochenblatt, 29/2020.