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Die Geburt als zentrales Ereignis für Kuh und Kalb

EuroTier digital 2021 - Netzwerk Fokus Tierwohl in den DLG-Spotlights

Auf der EuroTier digital Anfang Februar 2021 war das bundesweite Netzwerk Fokus Tierwohl im Fachprogramm mit zahlreichen Beiträgen vertreten. Im Spotlight Rind gab es unter anderem einen Fachvortrag rund um die Kälbergeburt.

Geburt und Geburtshilfe – damit fängt es an

Was mit der Geburt und gegebenenfalls auch Geburtshilfe beim Rind anfängt, war wohl allen Zuschauern bereits zu Beginn klar: Hoffentlich ein langes, gesundes Leben eines leistungsfähigen Rindes. Professor Axel Wehrend, Leiter der Klinik für Geburtshilfe, Gynäkologie und Andrologie der Groß- und Kleintiere an der veterinärmedizinischen Fakultät der JLU Gießen, startete seinen Vortrag mit Ausführungen zu den Folgen einer Schwergeburt. Die Kühe reduzieren nach einer Schwergeburt ihre Futteraufnahme aufgrund von Schmerzen. Damit sinkt die Leistung und auch die Fruchtbarkeit leidet aufgrund von Infektionen der Geschlechtsorgane - die Kälber leiden an den Folgen. Eine langwierige und schwere Geburt führt zu einer verzögerten oder schlechten Kolostrumaufnahme, da die Zunge der Kälber häufig angeschwollen ist und ein Saugen dadurch erschwert wird. Dies mündet häufiger in Durchfallerkrankungen, Lungen- oder Nabelentzündungen, schlimmstenfalls mit Todesfolge oder mit lebenslangen Folgeproblemen wie erhöhter Krankheitsanfälligkeit und schlechterer Fruchtbarkeit als Kuh. Ein hoher Anteil an Schwergeburten geht nachweislich mit erhöhter Kälbersterblichkeit einher.

Wie können nun Schwergeburten reduziert werden?

Der Experte ging sehr intensiv auf die große Herausforderung einer adäquaten Geburtsüberwachung ein. Er präsentierte Ergebnisse aus Untersuchungen die zeigen, dass eine gute Geburtsüberwachung die Totgeburtenrate halbieren kann. Die Häufigkeit der Überwachung als auch das Erkennen der Tiersignale sind entscheidende Faktoren dafür. Aus seiner Tätigkeit als Gutachter heraus ging er der Frage nach, ob eine Geburt acht Stunden im Voraus sicher vorhersagbar sei. Die in der Praxis häufig angeführten Indikatoren wie Ödematisierung der Scham, Schleimabgang, Farbe der Vaginalschleimhaut, Lockerung der breiten Beckenbänder, die Biegsamkeit der Schwanzspitze, die Schwanzhaltung, das Aufeutern, die Zitzenfüllung und Ödembildung wurden dahingehend von ihm auf den Prüfstand gestellt. Die ernüchternde Erkenntnis aus seinen Untersuchungen war, dass all diese Anzeichen oft schon Tage vor der Geburt zu beobachten seien und einzig die Untersuchung des Lockerungsgrades der breiten Beckenbänder eine zuverlässige Vorhersage erlaubte. Da sich die Beckenbänder aber schon bei 40 % der beobachteten Tiere bereits bis zu sieben Tage vor der Geburt zu lockern beginnen, gelte nur die vollständige Lockerung der breiten Beckenbänder als sicheres Zeichen für eine unmittelbar bevorstehende Geburt.

Die Bedeutung einer durchdachten Gestaltung der Abkalbebox mit Blick auf die Bedürfnisse von Mensch und Tier war ein weiterer Punkt des Vortrags. Die Umstallung der Kuh sollte bereits fünf Tage vor Geburt in einen sauberen, täglich frisch mit reichlich Stroh eingestreuten Bereich erfolgen. Sichtkontakt zu anderen Kühen ist dabei ebenso wichtig, wie ausreichend Platz und eine gute Infrastruktur (Kontrollmöglichkeit ohne Störung der Kuh, Wasserversorgung, Fixiermöglichkeit…).

Der Abkalbestall ist kein Krankenstall!

Wie entscheidend eine gute Hygiene in diesem sensiblen Bereich ist, werde ersichtlich, wenn sich vor Augen geführt wird, dass Kuh und Kalb unmittelbar nach der Geburt maximal infektionsanfällig seien. Der Abkalbebereich könne zur Keimschleuder im Betrieb werden, da auch gesunde Kühe neben Coxiellen (Q-Fieber Erreger), vor allem Salmonellen aber auch Neospora (Hunde als Überträger!) mit den Geburtsflüssigkeiten ausscheiden können, erläuterte Professor Wehrend gesicherte Erkenntnisse aus der Wissenschaft. Hygiene dürfe daher nicht nur ein leeres Wort bleiben.

Kann eine Schwergeburt durch normale Beobachtung rechtzeitig erkannt werden?

Anzeichen für Schwergeburten sind häufigeres Scharren, Harnabsetzen und Scheuern. Sie sind zwar als statistisch signifikante Merkmale zu nennen, praktisch aber kaum von Bedeutung, weil die Häufigkeiten - selbst bei regelmäßiger Beobachtung - nicht ausreichend nachgehalten werden können. Die große Herausforderung, Probleme frühzeitig zu erkennen, wurde in diesem Zusammenhang deutlich. Wenn sich der Durchtritt des Kopfes nach dem Platzen der Fruchtblase mehr als 1,5 Stunden verzögert, die Geburt ins Stocken kommt, Teile der Nachgeburt sichtbar werden bevor das Kalb auf der Welt ist oder es Abweichungen von der Norm gibt (z.B. nur ein Bein zu sehen ist), dann sind das Gründe für eine Kontrolluntersuchung. Hier muss ebenfalls penibel auf Sauberkeit geachtet werden. Nur Wasser allein reicht nicht aus. Die Scham sollte zusätzlich mit Seife gereinigt und anschließend mit Wasser gespült werden. 

Die Phasen der Geburt (Öffnungsphase, Austreibungsphase, Nachgeburtsphase) müssen bekannt sein. Zughilfe sollte nur am liegenden Tier erfolgen, weil die Kuh dabei die maximale Kraftentfaltung entwickeln kann und die knöchernen Geburtswege den maximalen Durchmesser erreichen.

In der ersten Phase der Geburt ist vor allem Geduld gefragt, da Stress bei der Kuh zu unnötigen Geburtsstockungen führen kann. In der zweiten Phase, der Austreibungsphase, tritt der Kopf in das Becken ein. Die Wehen und die Bauchpresse verstärken sich durch Nervenreize. Entscheidend ist, dass auch bei Geburtshilfe auf eine ausreichende Dehnung der äußeren Geschlechtsorgane geachtet wird. Beim Auszug ist vor allem darauf zu achten, dass die Zugrichtung zum richtigen Zeitpunkt in Richtung Sprunggelenke der Kuh geändert wird, damit sich die Hintergliedmaßen des Kalbes strecken können. Dies ist der Fall, wenn der Brustkorb des Kalbes geboren ist. In diesem Moment reißt auch die Nabelschnur, über die das Kalb bis dahin sicher versorgt hat. Bei Hinterendlage ist ein rasches Eingreifen erforderlich, da die Nabelschnur hier bereits durchtrennt wird, bevor der Kopf des Kalbes den Mutterleib verlassen hat. Zughilfe sollte maximal mit zwei Personen geleistet werden.

Das Risiko für Geburtsverletzungen erhöht sich Professor Wehrends Ausführungen zufolge, wenn die Kühe bereits vor der Geburt verfetten (Fett ist zwar weich, aber kann sich nicht dehnen), sie Stress haben, oder ein Selen-, Kalzium- oder Energiemangel vorliegt.

Mechanischen Geburtshelfer mit Verstand einsetzen

Oftmals wird dieses Hilfsmittel zu häufig und zu früh eingesetzt. Selten kommt es dabei zu äußerlichen, oftmals aber zu inneren Verletzungen, die nicht sofort erkennbar sind. Gerade das Kippen des mechanischen Geburtshelfers führt durch den veränderten Zugwinkel zu ungeahnter Kraftentfaltung (vergleiche Abb. 1). Ein Einsatz darf ohnehin nur in Erwägung gezogen werden, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Keine Haltungs-, Stellungs- und Lageanomalien
  • Muttermund muss vollständig geöffnet sein
  • Keine absolut oder relativ zu große Frucht
  • Kuh sollte liegen
  • erst wechselseitiger Zug, ab Sichtbarwerden der Augen im Schamspalt gleichzeitiger Zug
  • beim Austreten der Brust Zug in Richtung Euter ändern
  • Zugkraftbegrenzer einsetzen
  • ausreichend Dehnungspausen

Kaiserschnitt und Fruchtbarkeit

Die Frage, ob sich ein Kaiserschnitt lohnt kann laut Professor Wehrend mit einem klaren ja beantwortet werden, wenn er rechtzeitig durchgeführt wird. In diesem Fällen kann das Kalb meist gerettet werden und eine erneute Trächtigkeit der Kuh ist wahrscheinlicher (68 %) als nach einer Totgeburt (46 %) (Geschwind et al., 2003). Außer bei einer verzögerten Vorstellung der kalbenden Kuh oder einer Gebärmutterverdrehung konnte kein negativer Einfluss auf eine erneute Trächtigkeit festgestellt werden. Können durch einen Kaiserschnitt innere Verletzungen der Kuh verhindert werden, so lohnt es sich ebenfalls.

Um die Geburtsüberwachung zu optimieren sollten folgende Fragen sicher beantwortet werden können:

  • Was überwache ich und wie oft?
  • Wann und wie erkenne ich Schwergeburten?
  • Wie führe ich Geburtshilfe richtig durch?
  • Wo sind meine Grenzen und wann sollte ich eine*n Tierärzt*in hinzuziehen?

Zum Abschluss ermunterte er die Zuhörer noch einfache Korrekturen, wie z.B. eine Karpalgelenksbeugehaltung, an tot geborenen Kälber zu üben und wies darauf hin, dass im Rahmen des bundesweiten Netzwerk Fokus Tierwohl künftig detaillierte Informationen zum Thema Geburtsmanagement frei zur Verfügung gestellt werden.

Autorin: Gudrun Plesch, FiBL Deutschland e.V.